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Andreas Hoffmann

Projekt Körperkreuz

von Dr. Rosita Nenno, Deutsches Ledermuseum Offenbach 2003

Zwei Komponenten hat der Titel der Ausstellung von Andreas Hoffmann: Körper und Kreuz:

Was den Körper anbelangt, so besitzen und besetzen wir nicht nur selbst einen, wir nehmen unsere Mitmenschen zuerst über ihren Körper wahr, wir hegen spontane Sympathien und Antipathien, auch wenn wir uns noch so sehr von Äußerlichkeiten frei machen wollen. Wir sind heute aber auch einer Überfülle an Körperdarstellungen ausgesetzt, auf Werbeplakaten an jeder Straßenkreuzung, in farbig aufgemachten Magazinen, im Kino und Fernsehen.... Wenngleich sich bekannte Gesichter ausmachen lassen, wirken sie in der Fülle doch anomymisiert, hochstilisiert auf ein stereotypes Maß, und bei vielen Darstellungen lassen sich wenige erkennbare Merkmale von Ikonen wie Claudia Schiffer oder Naomi Campell ausmachen.

Daneben können uns Bilder der Schlachtfelder der Welt, geschundene Kreaturen in allen Verrenkungen, schon fast nicht mehr schockieren, sie werden uns detailgenau und allgegenwärtig in jeder Nachrichtensendung ins Haus geliefert, sie gehören zu unserem Alltag dazu. – Umso wichtiger sind heute die künstlerischen Interpretationen, die uns sensibilisieren und alarmieren und zu den Grundfesten des Humanismus zurückführen.

Auch das Kreuz ist uns im Okzident stets präsent: als Rotes Kreuz – Symbol für die Hilfe in physischer Not, als Erkennungszeichen an Gebetshäusern und als Mahnmal an Unfallstellen oder Orten des Gedenkens.

Dabei ist das Kreuz nicht an unseren christlichen Kult gebunden, sondern „findet sich (als religiöses und symbolisches Zeichen) schon um 2000 v. Chr. auf jungsteinzeitlichen Tontrommeln, im 1. Jahrtausend in Assyrien als Sinnbild der Sonne und in Ägypten als Symbol des ewigen Lebens. Das Heilszeichen des Radkreuzes ist noch älter“ (Brockhaus Enzyklopädie, 1970), die Swastika begegnet uns im alten Indien als Glückssymbol und martert uns Deutsche noch heute, pur oder „neo“, bedeutungsschwer als Hakenkreuz der Nationalsozialisten. In der Ikonografie der christlichen Welt steht das – gar nicht mehr immer geometrische - Kreuz selbst ohne Darstellung des Körpers für das Leiden und Sterben Christi, aber auch als Symbol für die Auferstehung und das Ewige Leben. Große Ausstellungen sind dem Thema gewidmet worden, wie etwa die 1980 in Berlin von Wieland Schmied veranstaltete „Zeichen des Glaubens. Geist der Avantgarde. Religiöse Tendenzen in der Kunst des 20. Jahrhunderts“ oder im vergangenen Jahr im Bamberger Dom die Ausstellung „Kreuze“, für die Werke von Franz Bernhard, Joseph Beuys, Salvador Dali, Horst-Egon Kalinowski, Arnulf Rainer u.a. zusammengetragen wurden.

Das Kreuz ist eine offene Form, wenn wir selbst ein Kreuz bilden, ist es wie die Darbietung unserer selbst, es drückt Vertrauen aus im Ausbreiten der Arme, es heißt Gäste willkommen oder Aufnahme des Universums in uns bei Formen des Ausdruckstanzes oder des Yoga.

Andreas Hoffmann verfolgt das Projekt Körperkreuz schon seit vielen Jahren, entstanden sind die Figuren 1996/97, parallel zu einer Serie von „Menschengefäßen“. Der Korpus (sic!) der Plastiken besteht aus schmalen Lederriemen, die feucht über ein Model geformt werden und nach dem Trocknen ihre Form behalten. Als Model und Vorlage dient Hoffmann der eigene Körper, den er analysiert, abformt, kopiert, das heißt auch, dass er ihn multipliziert, sicher nicht klont, aber als Schablone für den Menschen allgemein einsetzt.

Hoffmann, geboren 1961 in Eningen, hat eine lange Erfahrung in der Auseinandersetzung mit dem Körper, seiner Beschäftigung mit Masken folgte in den 80er Jahren ein Aufenthalt an der Theaterakademie in Arhus in Dänemark sowie die Mitarbeit am Theater, wo explizit der eigene Körper zum Einsatz kommt. 1985 begann er sein Bildhauerstudium an der Freien Kunsthochschule in Nürtingen, bevor er Ende der 80er Jahre an die Hochschule der Künste in Berlin wechselte.

Dort befasst er sich erstmals mit dem Kokon als geschütztem Raum, d.h. mit einer Kapsel als Hülle entstehenden Lebens, als Ort der Entwicklung, den man erst verlässt, wenn man in einen anderen Daseins-Zustand übergeht. In einer Arbeit mit dem Titel „Menschenfrucht“ taucht erstmals ein embryonaler Körper aus Pergament, transparent und verletzlich, im Zentrum des Kokons auf, bevor in den „Menschengefäßen“ das menschliche Maß und der eigene Körper zum Inhalt von Hoffmanns Schaffen wurde. Er selbst steckte in Performances in den Gefäßen, die noch mit Schnüren in Form gehalten wurden, in denen gefangen er sich bewegte und abkämpfte in einem existenziellen Überlebenskampf. Übrig bleibt die Hülle als Relikt, verlassen, entleert (?), und man stellt sich die Frage, ob es wohl die sterblichen Überreste sind oder die Häutungen eines zu neuer Dynamik erwachten und seinen Grenzen entwachsenen Lebens. Andreas Hoffmann überlässt dem Betrachter die Wahl zwischen Leben und Tod.

Während „Menschengefäß“ und „Körperkreuz“ den Körper als Ganzes abbilden (als „Ganzkörpermasken“ kann man sie auch sehen), steht in „Stückfeld“, einer Installation von aus Salz gebildeten Fragmenten, Abformungen von Händen, Armen, Gesichtspartien, Fuß- und Beinstücken, das „pars-pro-toto“, jedes Einzelstück für den Körper als Ganzes.

Otto Pannewitz vermerkt dazu:

„Seit vielen Jahren kreist Andreas Hoffmanns Werk um das Menschenbild in Form des Selbstbildes in all seinen Facettierungen von der totalen bis hin zur fragmentierten Figur. Dabei ist die Rolle des Künstlers der des Archäologen vergleichbar, der seine Feldforschung nicht an historischen Plätzen betreibt, sondern am menschlichen Körper.

Ist in früheren Jahren der Körper als Gesamtheit von Interesse gewesen, das sich im Sinne der klassischen Bildhauerauffassung äußerte, so gilt Andreas Hoffmanns Intention mit steigender Tendenz der fragmentierten Betrachtung von Volumen und, neuerdings, Oberflächen. Die Materialien seiner Betrachtungen entstammten und entstammen weitgehend der Natur: Wachs, Stärke, Salz und Blei; heute arbeitet der Künstler fast ausschließlich mit Salz. (der Text ist vor einigen Jahren geschrieben) Dieses gilt seit altersher als lebensnotwendiges Nahrungsmittel und in seiner konservierenden Eigenschaft auch als Relikte und Spuren des Vergangenen bewahrendes Medium.“ Zitatende

Niemals geht es dem Künstler um eine narzistische Selbstbeobachtung, der Körper bleibt ein Abstraktum, auch wenn Andreas Hoffmann heute filmische Mittel einsetzt zur detailgenauen Beobachtung der Körperoberfläche, der Poren, der Behaarung, der Zeichen des Gelebten und des Alters. Hoffmann macht sich auf eine „Spurensuche“, in der das Fragment für das Ganze steht, in der die Einzigartigkeit des menschlichen Körpers wie eine Landschaft erscheint, die er graphisch fixiert.

Naturmaterialien sind Hoffmanns Medien künstlerischen Ausdrucks bei, und was könnte natürlicher sein als Leder, das Organische, die Haut, eines der ältesten Nutzmaterialien des Menschen. Leder ist für jeden von uns belegt mit einer Anzahl von Assoziationen, sei es „die zweite Haut“ mit erotisch-sexueller Konnotation, als aggressives Attribut der Rocker oder Punk-Szene, oder die Schutzhülle, wie das Leder bei römischen Legionären oder japanischen Samurai in ihren Rüstungen eingesetzt wurde oder – neueren Datums – als Schürze der Metzger und „Arschleder“ der Bergleute.... Das Leder ist an sich schon Hülle, es war als Haut die äußere Grenze eines Lebewesens, es trägt die Spuren seiner Wege und Auseinander-setzungen. Michel Raimbaud, ein französischer Künstler von der Atlantikküste, der sich ganz dem Arbeiten mit Leder verschrieben hatte, sagte mir einmal sinngemäß: „Nimm einen Stein und bohre ihn an – du wirst in seinem Innern auch nur Stein finden. Wenn du aber das Leder an seiner Oberfläche anritzt, kratzt, dann verletzt du, du gehst unter die Haut, du rührst an das Leben selbst“. Auch Andreas Hoffmann weiß um all das, seine Lederspiralen umspannen einen virtuellen Körper, formen ihn nicht nur ab, sondern sind Panzer und Schutzschicht, Körpergrenze und Hülle zugleich; jedoch nie starr, immer flexibel: so lässt sich jede Figur individuell platzieren, ihre stereotype Grundform kann gestisch inszeniert werden.

Vielleicht nennt Andreas Hoffmann sein Werk deshalb „Projekt“ Körperkreuz – er hat seine Arbeiten polyvalent geschaffen, die flexiblen Figuren lassen sich immer wieder neu aufbauen, variieren und dabei raumbezogen installieren. In Gruppierungen treten sie in Beziehung zueinander, sie wenden sich einander zu oder voneinander ab und verdeutlichen dadurch die Vielfalt menschlicher Beziehungen. Häufig waren die Plastiken im sakralen Umfeld ausgestellt, in mittelalterlichen Kreuzgängen etwa, wo sie auf mich immer wirken, als gehörten sie ganz natürlich dorthin, an einen Ort der Ruhe, wo man zu sich kommen, sich besinnen kann. Doch auch in spröderen Räumen behaupten sich diese Spiralgebilde, sogar auf einem roten Industrie-Noppenboden im DLM – Ledermuseum Offenbach, wo wir parallel zum Frankfurter Dommuseum, das Projekt Körperkreuz und ein „Menschengefäß“ präsentiert hatten. In einem puren Raum wie dem des Limburger Diözesanmuseums, das dem Ideal des „White Cube“, des neutralen Ausstellungskastens relativ nahe kommt, können sich die Figuren weitgehend unbeeinflusst „bewegen“. Hoffmann platziert sie direkt auf dem Boden, der Raum muss nicht erst durch Sockel vorbereitet, für die Figuren bereitgemacht werden, diese besetzen den Raum souverän, eignen ihn sich an. Und anders als in den bisherigen Installationen, greifen die Plastiken in den Raum, sie schweben und bilden sich als Schatten an Wänden und Decken ab, sie begegnen uns auf unterschiedlichen Raumniveaus und lassen sich nicht ignorieren. Sie laden uns ein zu einem Dialog mit ihnen, wir müssen uns ihnen stellen zu einem Dialog, den man im christlichen Sinne führen kann aber nicht muss, der vielleicht das Entstehen und Vergehen als universellen Inhalt haben mag.