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Andreas Hoffmanns "Wandlungen" und "Stückfeld"


Seit vielen Jahren kreist Andreas Hoffmanns Werk um das Menschenbild in Form des Selbstbildes in all seinen Facettierungen von der totalen bis hin zur fragmentierten Figur. Dabei ist die Rolle des Künstlers der des Archäologen vergleichbar, der seine Feldforschung nicht an historischen Plätzen betreibt, sondern am menschlichen Körper.

Ist in früheren Jahren der Körper als Gesamtheit von Interesse gewesen, das sich im Sinne der klassischen Bildhauerauffassung äußerte, so gilt Andreas Hoffmanns Intention mit steigender Tendenz der fragmentierten Betrachtung von Volumen und, neuerdings, Oberflächen. Die Materialien seiner Betrachtungen entstammten und entstammen weitgehend der Natur: Wachs, Stärke, Salz und Blei; heute arbeitet der Künstler fast ausschließlich mit Salz. Dieses gilt seit altersher als lebensnotwendiges Nahrungsmittel und in seiner konservierenden Eigenschaft auch als Relikte und Spuren des Vergangenen bewahrendes Medium.

Salz wird bei Andreas Hoffmann zur Grundlage plastischer wie graphischer Gestaltungsprozesse, die den Anspruch der Durchdringung menschlicher Erscheinung und Bedeutung in überzeugender Weise erfüllen.

Wandlungen, graphisch

Andreas Hoffmanns Ausgangsmaterial sind wie ehedem Videoaufnahmen seines eigenen Körpers, aus denen über eine Computerbearbeitung der Ausschnitt für die Bilderstellung gewählt wird. Für den Künstler hat dabei die Film- und Computerästhetik hinsichtlich der Bildwirkung keinerlei Gewicht, verschwindet gar beim weiteren Bildwerdungsprozess in der Besonderheit der Hoffmannschen Bildträger. Papier oder Leinwand wird mehrfach in konzentrierte Salzlösung getaucht, welche diesem Trägermaterial eine feine kristalline Oberflächenstruktur verschafft. Darauf druckt Andreas Hoffmann in einem Nitroabklatschverfahren mittels einer Walzenpresse jene Xerographien der gewählten und bearbeiteten Videoausschnitte. Der Künstler erhält mit diesem Vorgehen eine dem zeich-nerischen oder grisaille-malerischen Sfumato vergleichbare Bildwirkung, welche durch die betonte Kontrastierung innerhalb des Motives noch gesteigert wird.

Auf zwei Wegen gelangt Andreas Hoffmann bei gleicher formaler wie inhaltlicher Zielsetzung zu differenzierten Ergebnissen. Der schon aufgezeigte bringt eine immer noch klare dingliche Vorstellung der Bild gewordenen Körperfragmente. Auf dem zweiten Weg wird das Bild wie gehabt gedruckt, dann allerdings nochmals in Salzlösung getaucht. Es erfährt damit bei der ohnehin schon vorhandenen Abstraktion der Bildsprache eine Steigerung derselben bis hin zum abstrakten Bild. In den 36 Hoffmannschen Bildern der "Fußpaare" kommen diese Wege zum Tragen, in klarer Formulierung wie auch abstrahierter Setzung. In ihrer geradezu seriellen Wandlung - mehrfach deutbar auch als das Wandeln auf Füßen, die Bewegung im Geist und als permanente Veränderung - , in der Wandlung insbesondere der Fußstellungen, die in ihrer Bedeutung dem Gestus der Hände vergleichbar werden, geben die "Fußpaare" über die Haltung des Gestellten, Liegenden, Hockenden, Sitzenden eindringlich Auskunft. Am Fragment ergänzt der Betrachter geradezu zwangsläufig die Position der Ganzfigur.

Stückfeld, graphisch - plastisch

Eine Kamera wandert langsam auf vorgegebenen Wegen über die Oberfläche des Körpers und zeichnet dessen größtes Organ, die Haut, in makroskopischen Aufnahmen auf. Die Aufnahmen werden in Einzelbilder zerlegt. Die weitere Bearbeitung erfolgt in der schon bekannten Vorgehensweise. In der Ausschnitthaftigkeit der so erlesenen und gedruckten Bilder lässt sich der Kontext der daraus gefilterten Einzelbilder zum Gesamtbild nicht mehr eruieren, quasi abstrakte Flächen- und Linienmuster bestimmen das einzelne Bildgeviert. Die Menschenoberfläche wird mit ihrer Struktur der Poren, Behaarung, Verletzungen und über Jahre erfahrenen Veränderungsspuren zum Feld einer das Detail betonenden Erforschung, einer Handlung der Spurensuche und -sicherung, die im Endergebnis der archäologischen Feld-Kartographierung nahe kommt. Der Künstler als Entdecker und Forscher bringt den Gegenstand seiner Entdeckung und Forschung - sich selbst - zu einem abstrahierten, wenn nicht gar abstrakten Gesamtbild, aus Detailaufnahmen zusammengefügt, das von großer Allgemeingültigkeit ist: hier zeigt sich die Einmaligkeit der individuellen Hülle als Quasi-Landschaftsaufnahme von archetypischer Ausprägung.

Die Menschenoberfläche spiegelt ihre ganze Vielfalt ästhetischer, plastischer wie graphischer Qualitäten wider, Qualitäten, die in Andreas Hoffmanns "Stücken" zu außerordentlicher Wirkung gebracht sind.

Dem steht das plastische Äquivalent des "Stückfeldes" in Nichts nach. Bruch-Stück-haft formt der Künstler seinen Körper ab, gießt ihn portionsweise in Salz, konserviert darin die spezifischen Merkmale seiner gelebten, erfahrenen Existenz, sein Sein und So-Sein. Stück für Stück breiten sich die Körperfragmente zu einem Feld aus, geben ihre vormals plastische Autonomie an die des Gesamtbildes "Stückfeld" ab, markieren je für sich kaum mehr als die Funktion des nachgeformten Körperteiles, die sich in der fortgeschrittenen Fragmentierung nur noch erahnen lässt. Die Lebendigkeit des Körpers ist dem erstarrten Weiß des Salzes gewichen - obschon Salz für Leben steht, ist dessen mit dem Tod verbundene Vorstellung darin ebenso gegenwärtig: die zur Salzsäule erstarrte törichte Frau Noahs im Rückblick auf Sodom und Gomorrha steht dafür als gewichtiges Beispiel in der Menschheitsgeschichte (der christlichen); aber auch die Salzwüsten als Überbleibsel einst lebensreicher Gewässer verweisen nachdrücklich auf den Tod.

Andreas Hoffmanns "Stückfeld" findet im sakralen Raum der ehemaligen Klosterkirche von St. Wolfgang in Engen den idealen Raum für die Vorstellung von Werden und Vergehen, die gerade auch im "Stückfeld", der fragmentierten Körperlichkeit, zum Ausdruck kommt. In der Versammlung und Ausbreitung der fragmentierten Formungen körperlicher Existenz spiegelt sich der in vielerlei Hinsicht fragmentierte Mensch in seinen unzähligen Ansichten. Dem ersten Anschein wiedersprechend, ist ein Zusammenfügen zu einer neuen Gesamtheit aber unmöglich geworden.

Andreas Hoffmann macht dies überzeugend deutlich.

Otto Pannewitz Galerie der Stadt Sindelfingen